VK Bund zur Auftragswertschätzung bei baubegleitenden Rechtsberatungsleistungen

Mit Beschluss vom 01.06.2017 (Aktenzeichen: VK 1-47/17) hat die Vergabekammer des Bundes entschieden, dass der Auftragswert für die Ausschreibung von baubegleitenden Rechtsberatungsleistungen nicht mit dem Auftragswert des Bauauftrages zusammenzurechnen ist. Auch bei einer funktionalen Betrachtungsweise im Sinne des EuGH sind baubegleitende Beratungsleistungen nicht als Teil des Bauauftrages anzusehen. Ebenso wenig ist bei der Auftragswertschätzung für einen Interimsvertrag der Auftragswert des Hauptauftrags mit zu berücksichtigen.

Sachverhalt

Der öffentliche Auftraggeber schrieb im Sommer 2016 einen Rahmenvertrag über juristische Beratungsleistungen für ein Neubauprojekt europaweit aus. Aufgrund eines langwierigen Nachprüfungsverfahrens gegen die Vergabe schloss er im Frühjahr 2017 nach eigenen Angaben im Wege einer freihändigen Vergabe mit beschränktem Teilnahmewettbewerb einen Interimsvertrag mit einer Anwaltskanzlei ab, in dem dieser konkret bezeichnete vergabe- und vertragsrechtliche Beratungsleistungen für den Zeitraum von einem Jahr übertragen wurden. Zweck des Vertrages mit einem geschätzten Auftragswert von ca. 300.000,00 € war die Überbrückung der Zeit bis zum Abschluss des anhängigen Beschwerdeverfahrens betreffend den Hauptauftrag.

Gegen diesen Vertragsschluss wandte sich die Antragstellerin mit einem Nachprüfungsantrag. Zur Begründung trug sie vor, der Interimsauftrag hätte europaweit ausgeschrieben werden müssen, da aufgrund einer Pflicht zur Addition der maßgebliche Schwellenwert überschritten sei.

Die Entscheidung

Eine Sichtweise, der sich die VK Bund nicht anschloss. Vielmehr widerlegte die Vergabekammer die Ausführungen der Antragstellerin unter sorgfältiger Darstellung der folgenden zentralen Punkte:

Maßgeblich sei gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. Art. 4 lit. d) der Richtlinie 2014/24/EU ein Schwellenwert von 750.000 €, da der Vertrag besondere Dienstleistungen i. S. v. Anhang XIV bzw. Art. 74 der Richtlinie zum Gegenstand habe. Daran ändere es auch nichts, dass sich die Beratungsleistungen auf ein Bauvorhaben beziehen. Denn weder nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 6 VgV noch nach der funktionalen Sichtweise des EuGH handele es sich bei derartigen Rechtsberatungsleistungen um einen Teil des dahinterstehenden Bauauftrags.

Ebenso wenig sei bei der Auftragswertschätzung für den Interimsauftrag der Auftragswert des Hauptauftrags, also des Rahmenvertrages über Rechtsberatungsleistungen, hinzuzurechnen.

Zum einen ging nach Ansicht der Kammer die Argumentation der Antragstellerin schon deswegen fehl, weil eine – unterstellte, da hier nicht vorliegende – (Teil-)Identität der Leistungen des Interimsvertrages mit dem Hauptauftrag keine Addition der Auftragswertschätzungen zur Folge hätte, sondern vielmehr zur Nichtigkeit des Interimsvertrages führen würde.

Zum anderen sei auch bei einer Heranziehung der Aussagen des EuGH zur funktionalen Betrachtungsweise eine Zusammenrechnung der Auftragswerte nicht geboten. Weder bestehe ein wirtschaftlicher oder technischer Zusammenhang, der dazu führe, dass die beiden Aufträge aufeinander aufbauen und einen einheitlichen Charakter aufweisen, noch sei ein derartiger Interimsvertrag von dem Sinn und Zweck der EuGH-Rechtsprechung zur funktionalen Betrachtungsweise umfasst. Denn der Auftraggeber habe keine künstliche Aufteilung eines einheitlichen Auftrags vorgenommen, die es zu unterbinden gelte; schließlich hatte sich der Beschaffungsbedarf hinsichtlich des Interimsvertrags erst nachträglich durch das Nachprüfungsverfahren überhaupt ergeben.

Fazit

Die Entscheidung der VK Bund ist hilfreich für jeden öffentlichen Auftraggeber, da sie die Grenzen der Addition von Auftragswerten nachvollziehbar und praxistauglich darlegt. Im Überblick ergeben sich damit für öffentliche Auftraggeber die folgenden Grundsätze:

In der Regel zu addieren sind die Auftragswertschätzungen bei

  • Planungsleistungen verschiedener Leistungsbilder (insbesondere Objektplanung, TGA, Tragwerksplanung), die einen funktionalen, wirtschaftlichen und technischen Zusammenhang aufweisen (OLG München, 13.03.2017 – Verg 15/16)

In der Regel keine Pflicht zur Addition besteht bei

  • einem Bauauftrag und den zu dem Projekt gehörenden Planungsaufträgen (Vgl. BT-Drs. 18/7318, S. 148, EUGH, Urteil vom 15.03.2012, C-574/10);
  • einem Bauauftrag und den begleitenden Rechtsberatungsleistungen;
  • einem Hauptvertrag und dem zur Überbrückung eines Nachprüfungsverfahrens zulässigerweise zu vergebenden Interimsauftrag.

(VK Bund, Beschluss vom 01.06.2017 – VK 1-47/17)