BGH zur Auslegung des Hauptanspruchs eines Patents und zur Einräumung einer Aufbrauchfrist bei Patentverletzung

In seinem Urteil vom 10.05.2016 „Wärmetauscher“ (Az.: X ZR 114/13) hat sich der BGH zur Auslegung des Hauptanspruchs eines Patents geäußert und sich ferner mit der Frage befasst, ob in Patentverletzungsprozessen die Einräumung einer Aufbrauchfrist in Betracht kommt.

Bei der für die Beurteilung einer Patentverletzung erforderlichen Auslegung des Patentanspruchs sind nach der ständigen Rechtsprechung des BGH der Sinngehalt des Anspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag jedes einzelnen Merkmals zu dem gesamten Leistungsergebnis der Erfindung zu ermitteln. Ergänzend führt der BGH in seinem Urteil „Wärmetauscher“ aus, dass die Ermittlung des Sinngehalts eines Unteranspruchs grundsätzlich zur richtigen Auslegung des Hauptanspruchs beitragen kann. Unteransprüche gestalten die im Hauptanspruch unter Schutz gestellte Lösung weiter aus. Daher könnten diese – mittelbar – Erkenntnisse über deren technische Lehre zulassen. Inwieweit sich aus dem Gegenstand eines Unteranspruchs tragfähige Rückschlüsse für das Verständnis des Hauptanspruchs und der in ihm verwendeten Begriffe gewinnen lassen, hänge im Übrigen von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere auch davon, worin die mit dem Unteranspruch vorgeschlagene Ergänzung der technischen Lehre des Hauptanspruchs bestehe und auf welche Weise sie den Gegenstand des Hauptanspruchs fortbilde. Werde dadurch ein Merkmal im Interesse funktionaler Optimierung um einen dieses Merkmal weiter ausformenden Aspekt ergänzt, könne dies unter Umständen eher tragfähige Rückschlüsse auf das dem betreffenden Merkmal im Rahmen der Lehre des Klagepatents beizulegende Verständnis ermöglichen, als wenn den Merkmalen des Hauptanspruchs additiv ein weiteres Element hinzugefügt werde.

Höchstrichterlich ist bislang noch nicht entschieden, inwieweit eine Aufbrauchfrist im Falle einer Patentverletzung gewährt werden kann. Insoweit stellt der BGH klar, dass bei einer Patentverletzung aus in der Natur der Beeinträchtigung liegenden Gründen nur unter engen Voraussetzungen eine Aufbrauchfrist in Betracht komme. Es sei notwendige Folge des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs, dass der Verletzer die patentverletzende Produktion oder den patentverletzenden Vertrieb einstellen müsse und das betroffene Produkt erst dann wieder auf den Markt bringen könne, wenn er sich entweder die dafür benötigten Rechte vom Patentinhaber verschafft oder das Produkt so abgewandelt habe, dass es das Schutzrecht nicht mehr verletzt. Die damit zwangsläufig verbundenen Härten seien grundsätzlich hinzunehmen. Nur wenn die wirtschaftlichen Folgen der sofortigen Befolgung des Unterlassungsgebots den Verletzer im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände über die mit seinem Ausspruch bestimmungsgemäß einhergehenden Beeinträchtigungen hinaus in einem Maße treffen und benachteiligen, das die unbedingte Untersagung als unzumutbar erscheinen lasse, sei eine Einschränkung der Wirkung des Patents durch Gewährung einer Aufbrauchfrist zu rechtfertigen.

Amtliche Leitsätze

1. Die Ermittlung des Sinngehalts eines Unteranspruchs kann grundsätzlich zur richtigen Auslegung des Hauptanspruchs eines Patents beitragen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Unteransprüche regelmäßig den Gegenstand des Hauptanspruchs nicht einengen, sondern nicht anders als Ausführungsbeispiele lediglich – gegebenenfalls mit einem zusätzlichen Vorteil verbundene – Möglichkeiten seiner Ausgestaltung aufzeigen.

2. Die Einräumung einer Aufbrauchfrist kommt in Patentverletzungsprozessen nur dann in Betracht, wenn die sofortige Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs des Patentinhabers auch unter Berücksichtigung seiner Interessen aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls gegenüber dem Verletzer eine unverhältnismäßige, durch das Ausschließlichkeitsrecht und die regelmäßigen Folgen seiner Durchsetzung nicht gerechtfertigte Härte darstellte und daher treuwidrig wäre.

BGH, Urteil v. 10.05.2016, Az.: X ZR 114/13