LG München I – Vorlagefragen zum Filesharing – Zum Umfang der sekundären Darlegungslast bei gemeinschaftlich genutztem Internetanschluss

Die 21. Zivilkammer des Landgerichts München I hat dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg in einem Vorabentscheidungsersuchen Fragen zur Auslegung europäischer Regelungen zum Urheberrecht vorgelegt (LG München I, EuGH-Vorlage vom 17. März 2017, Az. 21 O 24454/14).

Sachverhalt:

Hintergrund ist eine Urheberrechtsverletzung über eine sog. Online-Tauschbörse und insoweit insbesondere die Frage, inwieweit der Inhaber des fraglichen Internetanschlusses im Rahmen seiner sekundären Darlegungspflicht zu weiteren Nachforschungen im Familienumfeld verpflichtet ist.

Die Klägerin verfügt über die Rechte des Tonträgerherstellers an der Hörbuchfassung des urheberrechtlich geschützten Werkes „Das verlorene Symbol“ des Autors Dan Brown. Dieses Hörbuch wurde über den Internetanschluss des Beklagten zu zwei verschiedenen Zeitpunkten einer unbegrenzten Anzahl von Internetnutzern einer Online-Tauschbörse zum Herunterladen angeboten. Da die Abmahnung der Klägerin erfolglos blieb, verklagte sie den Beklagten als Anschlussinhaber auf Zahlung eines angemessenen Schadensersatzbetrages.

Der Beklagte bestreitet, die Urheberrechtsverletzung selbst begangen zu haben. Sein Internetanschluss sei hinreichend gesichert gewesen, neben ihm hätten aber auch seine im selben Haus wohnenden Eltern Zugriff auf den Internetanschluss gehabt. Nach seiner Kenntnis hätten diese jedoch weder die streitgegenständliche Datei auf ihrem Computer gehabt noch ein Tauschbörsenprogramm genutzt. Der Beklagte führte zudem aus, dass nach seiner Kenntnis zum streitgegenständlichen Zeitpunkt sämtliche Rechner ausgeschaltet gewesen seien und seine Eltern ihm glaubhaft versichert hätten, den streitgegenständlichen Titel nicht zu kennen und keinerlei Tauschbörsensoftware installiert oder betrieben zu haben.

Das Amtsgericht München wies die Schadensersatzklage der Klägerin mit der Begründung ab, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Beklagte Täter der behaupteten Urheberrechtsverletzung sei. Nach Auffassung des Amtsgerichts genüge es insoweit, dass der Beklagte dargelegt habe, dass auch seine Eltern als Täter in Betracht kommen. Das Landgericht München I, welches im Berufungsverfahren mit der Sache befasst ist, neigt im Gegensatz zum Amtsgericht dazu, eine Haftung des Beklagten als Täter der behaupteten Urheberrechtsverletzungen zu bejahen. Aus dem Vortrag des Beklagten würde sich nicht ergeben, dass im Verletzungszeitpunkt eine dritte Person den Internetanschluss benutzt habe und deshalb ernsthaft als Rechtsverletzer in Betracht komme.

Vorlagefragen:

Aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des BGH sieht sich das Gericht allerdings dazu gezwungen, die Regelung in Art. 8 Abs. 1, 2 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48/EG, die hinsichtlich eines Schadensersatzanspruches für Urheberrechtsverletzungen mit § 97 UrhG ins deutsche Recht umgesetzt ist, dahin gehend anzuwenden, dass ein privater Anschlussinhaber, der Familienangehörigen Zugriff auf seinen Internetanschluss bzw. sein WLAN gewährt, über den ein urheberrechtlich geschütztes Werk rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurde, für diese Rechtsverletzung nicht auf Schadensersatz haftet, wenn er mindestens ein Familienmitglied benennt, dem neben ihm der Zugriff auf diesen Internetanschluss möglich war, ohne durch entsprechende Nachforschungen ermittelte nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Internetnutzung durch dieses Familienmitglied mitzuteilen.

Das Landgericht setzt sich insoweit explizit mit einer relativ aktuellen Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 6. Oktober 2016, Az. I ZR 154/15 – Afterlife), auseinander. Im Rahmen dieser Entscheidung hatte der BGH u. a. ausgeführt, dass bei gemeinschaftlich genutzten Internetanschlüssen im Ehe- bzw. Familienumfeld zugunsten des Anschlussinhabers der grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 EU-Grundrechtecharta, Art. 6 Abs. 1 GG) wirken würde. Dem Inhaber eines privaten Internetanschlusses sei es daher regelmäßig nicht zumutbar, die Internetnutzung seines Ehegatten oder eines Familienangehörigen einer Dokumentation zu unterwerfen, um im gerichtlichen Verfahren seine täterschaftliche Haftung abwenden zu können. Ebenfalls unzumutbar sei es regelmäßig, dem Anschlussinhaber die Untersuchung des Computers seines Ehegatten im Hinblick auf die Existenz von Filesharing-Software abzuverlangen.

Nach Auffassung des Landgerichts München I führt diese Rechtsprechung des BGH dazu, dass eine Schadensersatzhaftung des Anschlussinhabers bereits unter relativ geringen Voraussetzungen entfallen könnte und der Rechteinhaber daher im Ergebnis schutzlos gestellt würde. Daher ist aus Sicht des Landgerichts fraglich, inwieweit die durch das Europarecht vorgegebenen wirksamen und abschreckenden Sanktionen bei Urheberrechtsverletzungen im Wege des Filesharing überhaupt noch gewährleistet werden können.

Das Landgericht München I möchte daher vom EuGH wissen, wie der Terminus „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen“ bei Verletzungen des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung eines Werkes (Art. 8 Abs. 1, 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG) auszulegen ist. Die zweite Vorlagefrage weist im Wesentlichen den gleichen Wortlaut auf, bezieht sich jedoch auf eine andere Richtlinie. Das Landgericht ersucht den EuGH insoweit um die Auslegung des Terminus „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Maßnahmen“ zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48/EG).

Nach Auffassung des Landgerichts ist eine wirksame und abschreckende Sanktion in Gestalt einer Schadensersatzpflicht nicht gegeben, wenn diese dadurch ausgeschlossen werden kann, dass der Anschlussinhaber jedenfalls einen Familienangehörigen nennt, der neben ihm Zugriff auf den Anschluss hat. Eine solche Handhabung könnte im Ergebnis zu einer Umgehung der Schadensersatzpflicht führen und dazu, dass der Rechteinhaber letztlich niemanden erfolgreich in Anspruch nehmen könnte.

Anmerkung:

Das LG München interpretiert die aktuelle Rechtsprechung des BGH im Ergebnis dahin gehend, dass ein Rechteinhaber in Filesharing-Fällen genau genommen automatisch mit seiner Rechtsdurchsetzung scheitert, wenn der Anschlussinhaber ein weiteres Familienmitglied benennt, das den Internetanschluss nutzen konnte. Nach Auffassung des Landgerichts habe der Rechteinhaber so faktisch keine Möglichkeit, seine Rechte in der Praxis durchzusetzen.

Die insoweit sehr pauschal gehaltene Auffassung des Landgerichts lässt jedoch wesentliche Aspekte der einschlägigen BGH-Rechtsprechung zum Filesharing unbeachtet. Zwar hat der BGH den Schutz von Ehe und Familie gestärkt, fordert jedoch grundsätzlich weiterhin, dass eine Einzelfallbetrachtung erfolgt. Darüber hinaus ist stets ein plausibler Sachvortrag des Anschlussinhabers erforderlich, um Ansprüche abzuwenden.

Es bleibt abzuwarten, wie der EuGH auf die Vorlagefrage des Landgerichts München antworten und wie sich dies auf die weitere Rechtsprechung in Deutschland auswirken wird.