BGH – Fernabsatzrecht gilt auch für Anwaltsverträge

Der BGH hat entschieden, dass auch Anwaltsverträge im Verbraucherbereich dem Fernab-satzrecht unterliegen können (Urt. v. 23.11.2017, IX ZR 204/16). Dies betrifft insbesondere auch das fernabsatzrechtliche Widerrufsrecht.

Sachverhalt

Der Beklagte war an einer Fondgesellschaft beteiligt und erhielt von einer Gesellschaft ein Schreiben, in dem diese ihre Dienste anbot und zur Rücksendung eines ausgefüllten Fragebogens und einer Vollmacht einlud. Dem Schreiben beigefügt war u.a. eine auf die Klägerin lautende Rechtsanwaltsvollmacht. Die Klägerin hatte der Gesellschaft hierzu Blankoformulare für eine Vielzahl von potenziellen, von der Gesellschaft zu werbenden Mandanten zur Verfügung gestellt.

Der Beklagte unterzeichnete die außergerichtliche Vollmacht und sandte diese nebst weiteren Unterlagen an die Gesellschaft zurück. Die Klägerin machte daraufhin ohne weitere Kontaktaufnahme mit dem Beklagten dessen Ansprüche gegenüber der Fondsgesellschaft mittels eines Serienbriefs geltend. Nachdem die außergerichtliche Inanspruchnahme erfolglos blieb, forderte die Klägerin den Beklagten auf, zum weiteren Vorgehen eine Prozessvollmacht auf sie auszustellen. Dies lehnte der Beklagte ab, woraufhin die Klägerin diesem ihr außergerichtliches Tätigwerden in Rechnung stellte. Der Beklagte wies daraufhin die Forderung zurück, wobei er zugleich erklärte, vorsorglich mit sofortiger Wirkung die über die Gesellschaft erteilten Vollmachten zu widerrufen. Die Klägerin verfolgte ihren Honoraranspruch sodann gerichtlich.

Entscheidung

Der BGH hat die Vorinstanzen bestätigt und die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin zurückgewiesen. Hierbei bejahte er die entscheidende Frage, ob der zwischen dem Beklagten und der Klägerin geschlossene Anwaltsvertrag einen Fernabsatzvertrag darstellt.

Entscheidend für die Einordnung einer Dienstleistung im Sinne des Fernabsatzrechts sei zunächst, dass eine entgeltliche, tätigkeitsbezogene Leistung an einen Verbraucher erbracht würde. Dies treffe grundsätzlich auch auf die anwaltliche Tätigkeit zu. Diese Einordnung gebiete schon der Sinn und Zweck der verbraucherschützenden Fernabsatzregelungen. Insofern könne sich der Verbraucher auch im rechtsanwaltlichen Bereich bei einer Vertragsanbahnung ohne persönlichen Kontakt keinen gleich umfassenden Eindruck vom Dienstleister und dem zu erwartenden Dienstleistungen verschaffen. Eine allgemeine Unanwendbarkeit des Fernabsatzrechts auf Anwaltsverträge ginge zudem an der Lebenswirklichkeit vorbei. Zahlreiche BGH- und Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen belegten, dass sich auch Rechtsanwälte für abzuschließende Beratungsverträge moderner Vertriebsformen bedienten Der bislang von Teilen der Instanzrechtsprechung verfolgten und wohl jedenfalls begründbaren Position, wonach der Anwaltsvertrag als Geschäftsbesorgungsvertrag aufgrund höchstpersönlichen Charakters der Leistung dem Anwendungsbereich der fernabsatzrechtlichen Bestimmungen entzogen sei, erteilte der BGH insoweit eine deutliche Absage.

Die Klägerin habe im Ergebnis nicht hinreichend dargelegt, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems (Fernabsatzsystem) erfolgt sei, sodass die widerlegliche Vermutung gelte, der Vertragsschluss sei im Rahmen eines solchen Fernabsatzsystems erfolgt: Ein Fernabsatzsystem liege jedenfalls vor, wenn ein Unternehmer in seinem Betrieb die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen habe, die notwendig sind, regelmäßig Geschäfte im Fernabsatz zu bewältigen. Hierfür reiche schon eine planmäßige Werbung des Unternehmers mit dem Angebot telefonischer Bestellung und Zusendung von Waren aus. Demgegenüber genüge es jedoch nicht, dass der Unternehmer auf seiner Website lediglich Informationen, z.B. über seine Dienstleistungen und Kontaktdaten, zur Verfügung stellt. Deshalb reiche es bei einem Rechtsanwalt auch nicht aus, wenn dieser lediglich solche Kommunikationskanäle zur Verfügung stellt, die zur Bewältigung des Kanzleibetriebs erforderlich sind.

Aufgrund der besonderen Umstände des konkreten Falls konnte der BGH offenlassen, welche konkreten (Mindest-)Anforderungen grundsätzlich an das Vorliegen eines Fernabsatzsystems zu stellen sind. Bereits wegen der Tatsache, dass die Klägerin der Gesellschaft die Blankovollmacht für eine Vielzahl von Verträgen übermittelt hatte, bestünde jedenfalls die Möglichkeit, dass ein planmäßiges Fernabsatzsystem vorliege. Diese Möglichkeit habe die insofern darlegungs- und beweisbelastete Klägerin nicht hinreichend widerlegt. Für ein Fernabsatzsystem spreche jedenfalls auch die Art der Kontaktaufnahme durch die Gesellschaft sowie der standardisierte Serienbrief.

In dem Zusammenhang betonte der BGH, dass es nicht darauf ankomme, ob und wie eine Kanzlei neben einer möglichen Bewältigung von Fernabsatzgeschäften auch andere Möglichkeiten zum Abschluss von Anwaltsverträgen nutze. Insbesondere sei nicht erforderlich, dass der Anwalt sein gesamtes Geschäft über die Fernkommunikationsmittel abwickle. Das Fernabsatzrecht gelte schließlich schon dann, wenn eine spätere persönliche Kontaktaufnahme, selbst wenn diese von Anfang an geplant und gewünscht sei, stattfinde.

Anmerkung

Die Argumentation des BGH ist jedenfalls für solche Fälle, in welchen Rechtsanwälte gezielt und organisiert Vertragsschlüsse mit potentiellen Mandanten aus dem Verbraucherbereich über Fernkommunikationsmittel abschließen, nachvollziehbar. Relevant dürfte dies insbesondere für solche Fälle sein, in welchen Rechtsanwälte mittels „Beratungs-Hotline“ oder der Möglichkeit der Mandatierung mittels Uploads von Anfragen und online bereitgestellten Mandats- und Honorarvereinbarungen am Markt agieren. In solchen Fällen ist nicht ersichtlich, warum der Verbraucher gegenüber anwaltlichen Leistungen weniger schützenswert sein sollte. Ob der persönliche Kontakt in der Kanzlei dem rechtsratsuchenden Verbraucher tatsächlich den entscheidenden Mehrwert an Erkenntnis im Hinblick auf die Qualität der Leistung bringt, mag fraglich sein. Dies ist aber eine grundsätzliche Frage, die das fernabsatzrechtliche Konzept für Dienstleistungen betrifft und keine Sonderfrage für anwaltliche Leistungen.

Im Einzelfall wird jedenfalls die Frage in den Mittelpunkt rücken, ob der jeweilige Vertrag im Rahmen eines organisierten Fernabsatzsystems erfolgte. Zu der umstrittenen Frage, wann ein solches Fernabsatzsystem vorliegt, enthält die Entscheidung leider kaum Hinweise. Der BGH erklärt nur, dass ein Fernabsatzsystem jedenfalls nicht dann schon vorliege, wenn ein Rechtsanwalt lediglich die technischen Möglichkeiten (Briefkasten, elektronische Postfächer, Telefon-/Faxanschlüsse) für Fernabsatzgeschäfte vorhält. Die weiteren Anforderungen bleiben offen. Dabei ist vor allem das Problem nicht zu unterschätzen, dass im Einzelfall der Rechtsanwalt die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass ein mittels Fernkommunikationsmittel geschlossener Vertrag mit einem Verbraucher nicht im Rahmen eines organisierten Fernabsatzsystems erfolgte.

Für Rechtsanwälte, die systematisch mit Verbrauchern über Fernkommunikationsmittel Anwaltsverträge abschließen, muss der Rat lauten, neben den fernabsatzrechtlichen Informationspflichten insbesondere das Widerrufsrecht im Fokus zu haben. Die dringende Empfehlung lautet hier, sich vom Verbraucher vor Beginn der Leistungserbringung ausdrücklich bestätigen zu lassen, dass der Verbraucher die Erbringung der anwaltlichen Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist verlangt, wobei zusätzlich ein Hinweis auf mögliche Kostenfolgen trotz Widerrufs zu erfolgen hat. Andernfalls droht die Gefahr, dass nach (teilweiser) Leistungserbringung ein Widerruf erfolgt und ein Honorar für erbrachte Leistungen nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden kann (vgl. § 357 Abs. 8 Satz 1 BGB).