Neues zum Urlaubsrecht: Zukünftig Urlaub ohne Urlaubsantrag?

Zwei abweichende Urteile von Berufungsgerichten beschäftigen sich mit der Frage, ob der Arbeitgeber Urlaub von sich aus – auch ohne Urlaubsantrag des Arbeitnehmers – gewähren müsse (so z. B. LAG Köln, Urteil vom 22.04.2016 – 4 Sa 1095/15) oder, wie es bislang herrschende Auffassung war, der Arbeitnehmer weiterhin die Verantwortung für einen eigenen Urlaubsantrag trägt (so z.B. LAG München, Urteil vom 20.04.2016 – 11 Sa 983/15).

Die Ausgangslage

Ein typischer Zankapfel bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen: Der Arbeitnehmer beansprucht noch Urlaubstage, gerne aus weit zurückliegenden Vorjahren, die nun entweder in Freizeit gewährt oder finanziell abgegolten werden sollen.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat zu diesem Thema in den letzten Jahren für ordentlichen Wirbel gesorgt. Obwohl das deutsche Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) vorsieht, dass der Urlaub grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr zu nehmen ist und spätestens zum 31.03. des Folgejahres verfällt, hat der EuGH mittlerweile klargestellt, dass dies nicht für dauererkrankte Mitarbeiter gelten darf. Deren Urlaubsanspruch verfällt erst 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres.

Es zeichnet sich nun anhand der Entscheidungen mehrerer Landesarbeitsgerichte ab, dass auch bei gesunden Mitarbeitern der Urlaub in Form eines Schadenersatzanspruchs über mehrere Jahre erhalten bleiben könnte. Unter Verweis auf die EU-„Urlaubsrichtlinie“ und die dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH vertreten das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 12.06.2014 – 21 Sa 221/14), die 8. Kammer des LAG München (Urteil vom 06.05.2015 – 8 Sa 982/14) und jüngst auch das LAG Köln (Urteil vom 22.04.2016 – 4 Sa 1095/15) die Auffassung, dass der Arbeitgeber initiativ dafür Sorge tragen müsse, dass seine Arbeitnehmer ihren Urlaub auch tatsächlich in Anspruch nehmen. Unterlässt er dies, mache er sich (in Höhe der Urlaubsabgeltung) unter Umständen schadenersatzpflichtig.

Die 11. Kammer des LAG München (Urteil vom 20.04.2016 – 11 Sa 983/15) hat sich den nachstehend geschilderten Erwägungen anderer Berufungsgerichte ausdrücklich nicht angeschlossen und hält weiter an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts festhält.

Der Fall des LAG Köln

Das LAG Köln hatte einen Fall zu entscheiden, in dem der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2015 noch Schadenersatz für den in den Jahren 2012 und 2013 – unstreitig – nicht in Anspruch genommenen Urlaub geltend machte. Die Abgeltung für den in den Jahren 2014 und 2015 nicht in Anspruch genommenen Urlaub hatte der Arbeitgeber anstandslos gezahlt.

Die Entscheidung

Der klagende Arbeitnehmer unterlag mit seinem Anspruch sowohl in erster als auch in zweiter Instanz. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht gingen jeweils davon aus, dass der Urlaubsanspruch für die Jahre 2012 und 2013 verfallen war und der Kläger seine Forderung höchstens über einen Schadenersatzanspruch begründen könne.

Das erstinstanzlich zuständige Arbeitsgericht Bonn stützte sich auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach der Arbeitnehmer nachweisen muss, seinen Urlaub rechtzeitig beantragt zu haben. Andernfalls sei der Arbeitgeber mit der Gewährung des Urlaubs nicht in Verzug geraten und könne nicht zum Schadenersatz verpflichtet sein.

Anders die Begründung des LAG Köln in der Berufungsinstanz: Ein Schadenersatzanspruch für den in den Jahren 2012 und 2013 nicht gewährten Urlaub käme grundsätzlich in Betracht, auch ohne dass der Arbeitnehmer einen Urlaubsantrag gestellt hat. Der Arbeitgeber sei verpflichtet, den Urlaubsanspruch des BUrlG von sich aus zu erfüllen.
Dies nützte dem Arbeitnehmer in dem konkreten Fall jedoch nichts: Das LAG lehnte seinen Anspruch trotzdem ab, da sich der Arbeitgeber auf die ständige Rechtsprechung des BAG habe verlassen dürfen, so dass es ihm nicht vorgeworfen werden könne, dass er den Urlaub nicht aktiv gewährt habe.

Fazit

Das Urlaubsrecht bleibt spannend und der EuGH sorgt immer wieder dafür, dass Arbeitgeber hier „am Ball“ bleiben sollten. Das Ansammeln von Urlaubstagen könnte nach den neueren Tendenzen der Instanzenrechtsprechung am Ende des Arbeitsverhältnisses teuer werden. Auf einen endgültigen Verfall spätestens zum Ende des Übertragungszeitraums (31. März) könne sich Arbeitgeber nicht mehr verlassen.

Neben der sauberen Differenzierung zwischen gesetzlichem Mindest- und vertraglichem Zusatzurlaub im Arbeitsvertrag raten wir daher dazu, die Urlaubsansprüche der Mitarbeiter im Blick zu behalten und ein Ansammeln über Jahre möglichst zu unterbinden, indem zumindest der gesetzliche Mindesturlaub fest verplant wird.

Gleichzeitig bleibt mit Spannung abzuwarten, ob das Bundesarbeitsgericht in den zu erwartenden Urteilen von seiner bisherigen Rechtsprechung Abstand nehmen wird oder die Frage zunächst dem EuGH vorlegt. Die bislang vorliegenden Urteile auf europarechtlicher Ebene legen jedenfalls nicht den Schluss nahe, dass der Arbeitgeber verpflichtet sei, Urlaub einseitig anzuordnen, ohne dass der Arbeitnehmer hieran mitzuwirken hat.

Das BAG wird Gelegenheit finden, zu diesen Fragen Stellung zu nehmen. Denn nicht nur das LAG Köln hat die Revision zugelassen, die der Kläger mittlerweile unter dem Aktenzeichen 9 AZR 423/16 beim Bundesarbeitsgericht eingelegt hat. Auch gegen die o. g. Entscheidung der 8. Kammer des LAG München ist beim 9. Senat des Bundesarbeitsgerichts die Revision anhängig (9 AZR 541/15) und auch zu der anderslautenden Entscheidung der 11. Kammer des LAG München ist inzwischen Revision eingelegt worden (9 AZR 321/16).

Quelle: Urteilsgründe des LAG Köln, Urteil vom 22.04.2016 – 4 Sa 1095/15