EuGH: Auch Direktoren einer Limited nach englischem/walisischem Recht können nach deutschen (Insolvenz-)Recht haften!

Der Direktor einer Gesellschaft englischen oder walisischen Rechts, über deren Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, kann vom Insolvenzverwalter gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. (§ 64 Satz 1 GmbHG n.F.) auf Ersatz von Zahlungen in Anspruch genommen werden, die der Direktor vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber nach dem Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit, geleistet hat (EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2015 – C-594/14).

Der Fall

Das Vorabentscheidungsverfahren betrifft die Auslegung von Art. 4 der EG-Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates vom Mai 2000 über Insolvenzverfahren (im Folgenden Insolvenz-VO) sowie der Art. 49 und 54 AEUV.
Im Rahmen seines Urteils setzt sich der EuGH mit der Fragestellung auseinander, ob § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a.F. zum Insolvenzstatut (dann Anwendung des Insolvenzrechts des Mitgliedstaats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wird) oder zum Gesellschaftsstatut (dann Anwendung des Recht des Mitgliedsstaates, nach deren Recht die Gesellschaft gegründet wurde) gehört. Daneben erörterte der EuGH die Frage, ob eine Anwendung der vorgenannten Norm die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV verletzt.

Dem Ganzen lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die in Insolvenz geratene Schuldnerin ist eine nach englischem/walisischen Recht gegründete private company limited by shares (im Folgenden Limited). Sie ist im  Handelsregister in Cardiff eingetragen und hat eine deutsche Zweigniederlassung (eingetragen im Handelsregister des Amtsgericht Jenas). Der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen („center of main interest“ – COMI) liegt in Deutschland. Am 27. November 2007 wurde vom AG Erfurt das Insolvenzverfahren eröffnet.

Der Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter erhob vor dem KG gegen die Direktorin der Limited Klage, da diese in der Zeit vom 11. Dezember 2006 bis zum 26.  Februar 2007 Zahlungen der Schuldnerin in Höhe von insgesamt 110.151,66 EUR veranlasste, obwohl letztere seiner Ansicht nach spätestens seit dem 1. November 2006 zahlungsunfähig war.

Das Landgericht befand, dass die Beklagte die streitigen Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen zu einer Zeit veranlasst hat, zu der die Schuldnerin schon zahlungsunfähig und damit insolvenzreif war. Es hat dagegen nicht festgestellt, dass die Zahlungen ausnahmsweise mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar waren. Dementsprechend hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Daraufhin hat das Oberlandesgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Der BGH hielt die Klage nach § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. für begründet, hielt aber die Vereinbarkeit dieser nationalen Vorschrift mit dem Unionsrecht für klärungsbedürftig.  Vor der Entscheidung über die Revision hat der BGH sodann das Verfahren ausgesetzt und diesbezügliche Auslegungsfragen dem EuGH vorgelegt.

Die Entscheidung

Im Rahmen seines Urteils erkannte der EuGH, dass § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. eine insolvenzrechtliche Norm im Sinne des Art. 4 Abs. 1 der VO ist und dass die Anwendung dieser Norm auf eine Limited keinen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellt. Nach Auffassung des EuGH gehört die Vorschrift namentlich zum Insolvenzstatut und einer Verurteilung des betroffenen Direktors der Limited durch das zuständige deutsche Gericht gestützt auf § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. steht Europarecht nicht entgegen.

Der EuGH stützte seine Entscheidung insbesondere darauf, dass § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. im Gegensatz zu allgemeinen Regelungen des Zivil- und Handelsrecht primär auf die Zahlungsunfähigkeit der betroffenen Gesellschaft und somit auf ein Tatbestandsmerkmal aus dem Insolvenzrecht abstellt. Des Weiteren hatte er bereits im Rahmen einer früheren Entscheidung (zum Az.: C-295/13) eine Klage gestützt auf § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. als eine unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehende und im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren stehende Klage eingestuft und mithin die internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts bejaht. Im Einklang dazu sei die materielle Norm § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. auch als insolvenzrechtliche Norm im Sinne des Europarechts einzustufen.

Zum gleichen Ergebnis kommt der EuGH im Wege einer Auslegung der Insolvenz-VO. Um dem Schutzzweck der Insolvenz-VO „Vermeidung der Gläubigerbenachteiligung“ bestmöglich Rechnung zu tragen, fallen nach Auffassung des EuGH unter das gemäß der Insolvenz-VO anwendbare nationale Insolvenzrecht nicht nur Vorschriften bzgl. der Eröffnungsvoraussetzungen eines Insolvenzverfahrens, sondern auch Vorschriften bzgl. Antragsstellung und Folgen eines Verstoßes gegen diesbezügliche insolvenzrechtliche Vorschriften. Das Insolvenzstatut ist also dementsprechend weit auszulegen. § 64 Abs. 2 GmbHG a.F., der die Haftung des geschäftsführenden Organs bei Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit der betroffenen Gesellschaft regelt und auf eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung abzielt, fällt unter letztere Kategorie. Einer zukünftigen Verurteilung des Direktors nach deutschem Recht steht demzufolge nichts entgegen.

Der EuGH erkannte schließlich noch, dass eine nationale Bestimmung wie § 64 Abs. 2 GmbHG a.F., die die Ersatzpflicht des geschäftsführenden Organs der Gesellschaft für Zahlungen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der betreffenden Gesellschaft regelt, nicht gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV verstößt.

Folgen für die Praxis

Diese Entscheidung zeigt, dass oft nur ein schmaler Grat zwischen der Geltung des Gesellschaftsstatuts und des Insolvenzstatuts liegt. Die Entscheidung des EuGH macht allerdings deutlich, dass das Insolvenzstatut im Sinne des Schutzzweckes der Insolvenz-VO „Vermeidung der Gläubigerbenachteiligungmöglichst weit auszulegen ist. Daher müssen sich geschäftsführende Organe von Gesellschaften anderer Mitgliedsstaaten, wie vorliegend die Limited nach englischem/walisischem Recht, bewusst sein, dass sie im Falle von gläubigerbenachteiligenden Zahlungen nach Eintritt der Zahlungsfähigkeit nach § 64 Satz 1 GmbHG haften, wenn die Gesellschaft den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen in Deutschland hat. Angesichts des oftmals existenzbedrohenden Umfangs dieser Haftung kann hier nur zur Vorsicht geraten werden!

Rechtsanwältin Katharina Stertz

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