Nach dem Kartell ist vor dem Kartell: Erst Lkw – jetzt Autos?

Nicht nur die Kartellrechtswelt ist in Aufregung. Die jüngsten Presseberichte über angeblich jahrelang praktizierte kartellrechtswidrige Absprachen der großen deutschen Automobilhersteller untereinander sind „Breaking News“ auf allen Kanälen. Wie lauten die Vorwürfe? Was wären die Konsequenzen? Wer könnte Schadenersatz geltend machen? All dies und mehr erfahren Sie hier!

Zum Hintergrund

Ende letzter Woche schlug eine Vorabmeldung aus dem aktuellen „Spiegel“ ein wie eine Bombe: Nach dem entsprechenden Bericht hat die deutsche Automobilindustrie, die derzeit tief im sogenannten „Diesel-Skandal“ steckt, womöglich noch ein weitaus größeres Problem: Wie der Spiegel berichtet hat, sollen sich die fünf großen deutschen Automobilhersteller Daimler, BMW, Porsche, Audi und VW über Jahre in geheimen Arbeitskreisen kartellrechtswidrig über technische Themen, Kosten, Zulieferer und weitere Aspekte abgesprochen haben. Die Europäische Kommission hat mittlerweile bestätigt, in der Angelegenheit Ermittlungen aufgenommen zu haben. Wie der Presse weiter entnommen werden kann, sollen sowohl die Unternehmen Daimler als auch VW sogenannte „Selbstanzeigen“ bei den Kartellbehörden eingereicht haben.

Wo liegt das Problem?

Nun mag man sich fragen, warum sich Hersteller nicht untereinander über bestimmte Standards, technische Fragen etc. austauschen können sollten. Hier setzt das Kartellrecht an: Absprachen und Vereinbarung, u.U. auch der bloße Austausch von Informationen zwischen Unternehmen, die miteinander im Wettbewerb stehen, sind nur solange unproblematisch, wie mit ihnen keine Wettbewerbsbeschränkung einhergeht. Andernfalls sind sie kartellrechtswidrig und damit regelmäßig verboten.

Im Raum steht nun der Vorwurf, dass sich die fünf genannten Hersteller nicht nur über wettbewerbsrechtlich neutrale Themen (wie etwa bestimmte technische Standards, z. B. die Vereinbarung einheitlicher Tanköffnungen, damit alle Autos mit ein und derselben Zapfpistole betankt werden können) ausgetauscht haben sollen, sondern darüber hinaus auch ihr Verhalten hinsichtlich solcher Themen abgestimmt haben sollen, bei denen man zwischen den Autoherstellern eigentlich Wettbewerb erwarten dürfte (wie etwa das beste Antriebskonzept, der umweltfreundlichste Motor, die am besten funktionierende Reinigung von Dieselabgasen etc.). Daneben kann der Presse entnommen werden, dass auch über die Beziehungen zu einzelnen Zulieferern sowie über bestimmte Kosten der Fertigung respektive des Einkaufs gesprochen worden sein soll. Auch Absprachen über solche Themen gehen typischerweise mit einer Wettbewerbsbeschränkung einher und sind daher regelmäßig kartellrechtlich verboten.

Was wären die Konsequenzen, wenn sich die jüngsten Presseberichte als zutreffend herausstellen?

Bewahrheitet sich, was derzeit in der Presse gelesen werden kann, so dürfte die Reihe der spektakulären Kartellfälle in der jüngeren Vergangenheit (bsp. Wurstkartell, Lkw-Kartell, um nur zwei zu nennen) um ein weiteres Kartell ergänzt werden müssen, welches die vorherigen aufgrund der Prominenz der Kartellanten und des vom Kartell erfassten außerordentlich hohen Umsatzes der beteiligten Unternehmen weit in den Schatten stellen dürfte. Zudem handelt es sich bei der Automobilindustrie um die Vorzeigeindustrie des Landes schlechthin.

Die betroffenen Automobilhersteller müssten zunächst mit erheblichen Geldbußen, bis in Milliardenhöhe, seitens der Kartellbehörden rechnen. Hiervon wäre nur für dasjenige Unternehmen eine Ausnahme zu machen, das mit seiner „Selbstanzeige“, kartellrechtlich besser „Kronzeugenantrag“, zur Aufdeckung des Kartells geführt hat. Der „erste Kronzeuge“ kann regelmäßig mit einem Bußgelderlass in voller Höhe rechnen. Diese Großzügigkeit gewähren die Kartellbehörden aber stets nur dem ersten Kronzeugen, alle weiteren wären der Härte des Gesetzes ausgesetzt.

Besteht Anspruch auf Schadensersatz?

Stimmen die Vorwürfe, so hätten sich die Automobilhersteller zunächst zulasten ihrer Zulieferer wettbewerbswidrig untereinander abgestimmt. Jedes Zulieferunternehmen, das aufgrund dieser Abstimmung einen ökonomisch messbaren Nachteil erlitten hat, könnte diesen Nachteil als Schaden gegenüber dem am Kartell beteiligten Unternehmen geltend machen. Zum anderen dürften auch einzelne Verbraucher geschädigt worden sein, je nach Natur der im Einzelnen noch nicht näher bekannten Absprachen. Auch insoweit erscheint es durchaus nicht ausgeschlossen, dass Schadenersatzansprüche bestehen und ebenfalls geltend gemacht werden können.

Die Geltendmachung solcher Schadenersatzansprüche wurde zudem durch die jüngst in Kraft getretene 9. GWB-Novelle nochmals erleichtert. Bereits vorher schon galt, dass eine behördliche Feststellung eines Kartellrechtsverstoßes (sei es durch das Bundeskartellamt, sei es durch die Europäische Kommission) etwaige Gerichte in Schadenersatzprozesse bindet. Der Geschädigte muss also nicht erneut nachweisen, dass die Kartellanten tatsächlich ein Kartell gebildet haben. Er kann sich schlicht auf die Ermittlungsergebnisse der Kartellbehörden berufen. Seit dem Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle gibt es zudem eine gesetzliche Vermutung dafür, dass das Kartell auch zu einem Schaden geführt hat. Der Geschädigte muss also letztlich „nur noch“ die Höhe seines konkreten Schadens darlegen und beweisen. Diese Hürde ist allerdings – darauf sei an dieser Stelle hingewiesen, um allzu große Euphorie zu dämpfen – im Einzelfall immer noch schwer genug zu nehmen.

Was ist jetzt zu tun?

Wenn Sie oder Ihr Unternehmen zum Kreise etwaig Geschädigter eines Kartells der Automobilhersteller gehören könnten, sollten Sie die Entwicklung aufmerksam beobachten. Derzeit sind die Hintergründe und vor allem die im Einzelnen angeblich getroffenen Absprachen noch unbekannt. Den ersten Verlautbarungen der EU-Kommission zufolge hat diese bereits Ermittlungen aufgenommen. Vor Abschluss dieser Ermittlungen wird es jedoch schwer sein, den angeblich beteiligten Automobilherstellern tatsächlich die Bildung eines Kartells nachzuweisen. Ersten Berichten zufolge weist BMW beispielsweise zurück, an verbotenen Absprachen beteiligt gewesen zu sein. Im Übrigen entfaltet auch nur die behördliche Feststellung eines Kartellrechtsverstoßes Bindungswirkung für etwaige Gerichte.

Wir werden die Entwicklung natürlich ebenfalls beobachten und an dieser Stelle regelmäßig darüber berichten. Sprechen Sie uns bei Fragen gern einfach an – CBH verfügt über jahrelange Erfahrung in der kartellrechtlichen Beratung!