Auf die Vorabbekanntmachung kommt es an – Zum Verfahren der Wieder-Erteilung kommunaler öffentlicher Personenbeförderungsaufträge nach der VO (EG) Nr. 1370/2007 und PBefG

In den kommenden Jahren werden in den allermeisten Kommunen bestehende Betrauungsakte über ÖPNV-Leistungen auslaufen. Neue kommunale Personenbeförderungsaufträge werden nur noch als öffentlicher Dienstleistungsauftrag nach der VO (EG) Nr. 1370/2007 (VO 1370) durch eine zuständige Behörde vergeben werden können. Die Umsetzung dieses neuen Rechtsinstruments einschließlich seines Erteilungsverfahrens bleibt herausfordernd.

Konfliktträchtig ist insbesondere das Verhältnis zwischen eigenwirtschaftlichen und gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen im PBefG; Folge sind unternehmerisch initiierte Angriffe auf bestehende kommunale ÖPNV-Strukturen, wie bereits in Pforzheim, Wuppertal und Hildesheim geschehen.

Völlig unterschätzt bleiben zudem die Anforderungen an das Direktvergabeverfahren selbst. Das gilt trotz einer erstmals im Frühjahr 2016 erfolgreich verteidigten kommunalen Direktvergabe vor dem OLG München betreffend den Stadtverkehr Augsburg. Entscheidend für den Erfolg in diesem Verfahren war neben der strikten Einhaltung aller Inhouse-Voraussetzungen die Vorabbekanntmachung der geplanten Direktvergabe im EU-Amtsblatt.

Wandel von der Eigen- in die Gemeinwirtschaftlichkeit

Die wohl einschneidendste Änderung für kommunale Verkehrsunternehmen im neuen PBefG ist, dass sich ihr Genehmigungsstatus von der Eigen- in die Gemeinwirtschaftlichkeit ändert.

Früher erfasste der Begriff der Eigenwirtschaftlichkeit nahezu alle Verkehrsleistungen. Jetzt wird er so eng gefasst, dass eigenwirtschaftlich nur noch solche Verkehre sein können, die ohne kommunale Ausgleichsleistung und die Gewährung von ausschließlichen Rechten auskommen. Damit ist, anders als nach der alten Rechtslage, für Verkehrsleistungen, die im steuerlichen Querverbund finanziert werden, die Eigenwirtschaftlichkeit per definitionem ausgeschlossen.

Jede Finanzierung im Querverbund erfordert einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag

Jede Finanzierung im kommunalen Querverbund bedarf nämlich zur beihilfenrechtlichen Absicherung des Defizitausgleichs immer eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages. Ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag muss jedoch von einer zuständigen Behörde über ein entsprechendes Verfahren initiiert werden, stets mit der Gefahr, dass dieses Verfahren aufgrund des Vorrangs der Eigenwirtschaftlichkeit im PBefG durch einen genehmigungsfähigen eigenwirtschaftlichen Konkurrenzantrag unterlaufen wird.

Europa sieht in der PBefG- Liniengenehmigung ein ausschließliches Recht

Die Konzeption des PBefG wirft aber ohnehin die Frage auf, ob nicht jeder Liniengenehmigung immer auch ein die Gemeinwirtschaftlichkeit begründendes ausschließliches Bedienungsrecht innewohnt, so dass bereits für die Erteilung von Liniengenehmigungen die VO 1370 zur Anwendung kommen muss.

Die Europäische Kommission sieht das seit dem 1. Entwurf zur VO 1370 aus dem Jahr 2000 so; die deutsche Genehmigungspraxis hingegen ignoriert diese Einordnung weiterhin aufgrund politisch gewollter Anordnung. Die Vergabejurisprudenz hat sich zu dieser Frage noch nicht eindeutig positioniert, ordnet die Liniengenehmigung aber allein schon wegen ihres Konzessionscharakters als öffentlichen Dienstleistungsauftrag ein. Für Verkehrsunternehmen, deren Liniengenehmigungen auslaufen, heißt das, sie sollten sicherheitshalber ihre Konzessionen nur im Verfahren der VO 1370 „gemeinwirtschaftlich“ beantragen. Den gemeinwirtschaftlichen Genehmigungsantrag können Verkehrsunternehmen dann aber nicht mehr in eigener Initiative, sondern nur noch auf der Grundlage vorbereitender Handlungen des Aufgabenträgers stellen.

Auf die Vorabbekanntmachung der Liniengenehmigungen kommt es an

Ausgangspunkt einer jeden Neuerteilung sowie jeder wesentlichen Änderung von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen einschließlich der Liniengenehmigungen muss daher die Vorabbekanntmachung des Aufgabenträgers sein. Ohne Vorabbekanntmachung haben Aufgabenträger weder eine rechtlich gesicherte Möglichkeit, politisch gewollte Qualitätsstandards im ÖPNV gegenüber eigenwirtschaftlichen Angriffen zu verteidigen, noch
können sie ihre Vorstellungen im Genehmigungsverfahren gegenüber der Genehmigungsbehörde durchsetzen. Wo nämlich die kommunale Vorabbekanntmachung fehlt, zählt für die Genehmigungserteilung nur, wer die beste Verkehrsbedienung bietet (§ 13 Abs. 2b PBefG). Festlegungen im Nahverkehrsplan sind dann nur „zu berücksichtigen“ und können – müssen aber nicht – eine Zurückweisung rechtfertigen (§ 13 Abs. 2a Satz 1 PBefG). Nur die Vorabbekanntmachung gewährleistet somit, dass der politische gewünschte Verkehr qualitativ und quantitativ weder durch eigenwirtschaftliche Verkehrsanträge noch die Genehmigungsbehörde unterlaufen werden kann.

Vorabbekanntmachung ist Grundlage für eine rechtlich unangreifbare Direktvergabe

Überdies erkennen die Vergabegerichte in der Vorabbekanntmachung die zentrale Transparenzvoraussetzung für die Erteilung von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen. Bei Direktvergaben leitet die Vorabbekanntmachung das Erteilungsverfahren ein (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 2.03.2011, VII-Verg 48/10, Rn. 63). Fehlt es daher an der Vorabbekanntmachung einer neu zu erteilenden Direktvergabe, liegt bereits darin ein vergaberechtlicher Verstoß.

Auch Bestandsbetrauungen bewahren nicht vor der Pflicht zur Vorabbekanntmachung

Selbst Kommunen, die ihrem Unternehmen bereits einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag gemäß der VO 1370 erteilt haben, können und sollen auf die Vorabbekanntmachung vor Erteilung der gemeinwirtschaftlichen Liniengenehmigungen nicht verzichten.

Europa verlangt mehrpolige Betrauungsakte im deutschen Recht

Europarechtlich handelt es sich bei dem kommunalen Auftrag ohnehin nur um einen Teilbestandteil des europarechtlich anerkennungsfähigen „multipolaren“ öffentlichen Dienstleistungsauftrags, nämlich um dessen Finanzierungskomponente.
Das Kernelement des öffentlichen Dienstleistungsauftrags, die Betrauung mit gemeinwirtschaftlichen Pflichten, beruht hingegen nach der Entscheidungspraxis europäischer Institutionen in erster Line auf den Linienverkehrsgenehmigungen und zwar über deren Betriebsberechtigung und –Verpflichtung (vgl. §§ 2 und 22 PBefG), ohne die der Betrieb nicht aufgenommen werden kann. Damit aktualisiert sich aber auch der öffentliche Dienstleistungsauftrag jedes Mal, wenn die Liniengenehmigung neu erteilt wird. Denn gerade die mit der Neuerteilung verbundene Marköffnung muss nach den EU-Vorgaben transparent sein und vorab bekanntgegeben werden.

Die Vorabbekanntmachungspflicht greift bei jeder wesentlichen Änderung des Personenbeförderungsauftrags

Während nämlich im allg. Vergaberecht für „in-house“-Konstellationen keine Transparenz- und Veröffentlichungspflichten bestehen, verlangt die VO 1370 in ihrem Art. 7 Abs. 2 eine  obligatorische  Vorabbekanntmachungspflicht für jede Neuerteilung eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags selbst im Falle einer Direktvergabe, um zu gewährleisten, „dass potenzielle Betreiber darauf reagieren können“, vgl. den 29. Erwägungsgrund der VO 1370. Damit greift die Vorabbekanntmachungspflicht immer bereits dann, wenn entweder ein neuer öffentlicher Dienstleistungsauftrag einschließlich der für den Betrieb erforderlichen
Liniengenehmigung erteilt wird oder ein bestehender öffentlicher Auftrag so wesentlich geändert wird, dass er – vergaberechtlich – der Neuerteilung eines Auftrags gleichkommt, auf die „potenzielle Bewerber“ reagieren können müssen.

Bestimmung wesentlicher Änderung anhand  EuGH „Pressetext“

Da die VO 1370 selbst nur wenige Aussagen zu Änderungen öffentlicher Dienstleistungsaufträge trifft, die keine Vorabbekanntmachungspflicht auslösen (nämlich bei Bagatellvergaben im Umfang von bis zu 50.000 km pro Jahr), gelten insoweit die Grundsätze, die der EuGH in seine „Pressetext“-Entscheidung (Urt. C 454/06 v. 19.06.2008) für wesentliche Auftragsänderungen während der Auftragslaufzeit herausgearbeitet hat. Diese Grundsätze sind nunmehr erstmals im neuen § 132 GWB zusammengefasst worden.

Die vorgenannten Grundsätze gelten allerdings – mit Ausnahmen echter Beschaffungsvorgänge, die gemäß Art. 5 Abs. 1 VO 1370 in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fallen – nicht unmittelbar für Verfahren nach der VO 1370; sie können daher nur entsprechend – mit Blick auf die Besonderheiten des ÖPNV und der VO 1370 – angewendet werden.

Danach sind wesentliche Änderungen, die einer Neuvergabe gleichkommen, solche, die dazu führen, dass sich der Auftrag erheblich von dem ursprünglich vergebenen Auftrag unterscheidet, insbesondere wenn mit der Änderung

  • Bedingungen eingeführt werden, die im ursprünglichen Verfahren die Zulassung anderer Bewerber oder Bieter ermöglicht hätten,
  • das wirtschaftliche Gleichgewicht des öffentlichen Auftrags zu Gunsten des Auftragnehmers in einer Weise verschoben wird, die im ursprünglichen Auftrag nicht vorgehsehen war, oder
  • der Umfang des öffentlichen Auftrags erheblich ausgeweitet wird.

Sämtliche Änderungen des kommunalen öffentlichen Dienstleistungsauftrages, die in einer der vorgenannten Kategorien fallen, müssen über eine Vorabbekanntmachung initiiert werden.

Fortsetzungsvergabe multipolarer öffentlicher Dienstleistungsaufträge

Der kommunale Teil des öffentlichen Dienstleistungsauftrages muss mit einem Änderungsmanagement auf diese Veränderungen des kommunalen Auftrags reagieren können.

Dafür ist einerseits erforderlich, dass der öffentliche Dienstleistungsauftrag sowohl die mehrpolige Natur der Auftragserteilung, als auch das Verfahren für die Veränderung des Bestands an Liniengenehmigungen beschreibt.

Andererseits muss der kommunale Auftrag einschließlich seiner Vorabbekanntmachung den zulässigen Umfang von qualitativen und quantitativen Änderungen beschreiben, die keiner neuen Liniengenehmigung und keines neuen öffentlichen Dienstleistungsauftrags erfordern. Gemäß § 132 Abs. 2 GWB handelt es z.B. nicht um eine wesentliche Änderung, wenn u.a. in den ursprünglichen Vergabeunterlagen klare, genaue und eindeutig formulierte Überprüfungsklauseln oder Optionen vorgesehen sind und sich aufgrund der Änderungen der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändert.

Den zeitlichen Vorlauf für das Erteilungsverfahren beachten

Verschärft wird die Situation durch den erheblichen zeitlichen Vorlauf, den das Gesetz für eine Vorabbekanntmachung anordnet. Sie darf nicht früher als 27 Monate vor dem beabsichtigten Betriebsbeginn liegen (§ 8a Abs. 2 Satz 2 PBefG) und muss nach Art. 7 Abs. 2 VO 1370 spätestens zwölf Monate vor Erteilung eines Direktauftrags an das eigene Verkehrsunternehmen im EU-Amtsblatt veröffentlicht sein. Da der Betreiber zudem nach § 12 Abs. 7 PBefG spätesten sechs Monate vor (Wieder-) Aufnahme des Betriebs mit dem kommunalen Auftrag in der Tasche seinen Genehmigungsantrag bei der Genehmigungsbehörde stellen muss, muss die Vorabbekanntmachung mindestens  18 Monate vor dem Auslaufen der Altgenehmigungen im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden.

Fazit – Das PBefG vollzieht einen Wandel vom Gewerbe- zum Vergaberecht

Verkehrsunternehmen, Aufgabenträger oder Genehmigungsbehörden müssen sich jetzt von der alten personenbeförderungsrechtlichen Genehmigungswelt verabschieden. Nicht mehr allein die Gestaltung beihilfenrechtskonformer Betrauungsakte muss zumal das Ziel des Aufgabenträgers sein sondern der Weg zu ihrer ordnungsgemäßen Erteilung. Das zeigt nicht zuletzt die erfolgreiche Fortsetzungsvergabe des öffentlichen Dienstleistungsauftrags der Stadt Augsburg an ihren internen Betreiber.

Gleichzeitig beinhaltet die das Verfahren initiierende Vorabbekanntmachung aber auch neue Chancen für die kommunale Verkehrswirtschaft. Der Aufgabenträger steuert über die Vorabbekanntmachung Qualität und Quantität der Verkehrsleistungen und kann darüber eigenwirtschaftliche Konkurrenzanträge – so diese in Zukunft noch europarechtlichen Bestand haben – erfolgreich abwehren.

Der  Beschluss des OLG München vom 31.03.2016 zur Direktvergabe des Stadtverkehr Augsburg ist unter diesem Link abrufbar:
https://beihilfenblog.com/2016/04/08/olg-muenchen-bestaetigt-oepnv-direktvergabe-multipolarer-oeffentlicher-dienstleistungsauftrag-ist-zulaessig/