Erhebung von Erschließungsbeiträgen nicht mehr zeitlich unbegrenzt zulässig

Die Erhebung von Erschließungsbeiträgen ist jedenfalls nach Ablauf von 30 Jahren nach der technischen Fertigstellung der Erschließungsanlage unzulässig. Dies hat das Oberverwaltungsgericht NRW in einer neueren Entscheidung festgestellt (Az.: 15 A 1812/16).

Vielfach stößt es auf Unverständnis, wenn die tatsächliche Herstellung der Erschließungsanlagen und die Beitragserhebung zeitlich weit auseinanderfallen. Hintergrund hierfür ist, dass über die in § 133 Abs. 2 Satz 1 Baugesetzbuch (BauGB) geregelte Vorgabe, wonach die Beitragspflicht mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage entsteht, hinaus noch weitere Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit die Erschließungsbeitragspflicht des Grundstückseigentümers entsteht. Es handelt sich hierbei im Wesentlichen um in der Sphäre der Stadt liegende rechtliche Grundvoraussetzungen, wie etwa das Vorhandensein einer gültigen Erschließungsbeitragssatzung oder aber die Widmung der Straße für den öffentlichen Verkehr. Erst wenn auch diese weiteren rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, entsteht auch die sachliche Erschließungsbeitragspflicht. Infolgedessen beginnt auch erst zu diesem Zeitpunkt die vierjährige Frist zur Festsetzungsverjährung. Die Erhebung von Erschließungsbeiträgen war unter diesen Voraussetzungen bisher auch noch Jahrzehnte nach der tatsächlichen Fertigstellung der Erschließungsanlage möglich.

Einer solchen zeitlich völlig unbegrenzten Beitragserhebung hat die Rechtsprechung nun einen Riegel vorgeschoben. Bereits im März 2013 hatte das Bundesverfassungsgericht in einem zum bayerischen Kommunalabgabengesetz ergangenen Beschluss entschieden, dass das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor schütze, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden könnten. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebiete es daher auch bei der Erhebung von Beiträgen, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen könne, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen müsse.

Über die Frage, ob und wenn ja in welchem Umfang die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch Auswirkungen auf die Erhebung von Erschließungsbeiträgen hat, bestand im Nachgang zur Entscheidung von März 2013 zunächst Unklarheit.

Diese Unklarheit dürfte durch ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) NRW vom 24.11.2017, Az. 15 A 1812/16, nun weitestgehend beseitigt sein. Das Oberverwaltungsgericht für das Land NRW hat in dem zuvor zitierten Urteil entschieden, dass den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts über den entschiedenen Fall hinaus Bedeutung zukomme. Sie bezögen sich auf die Erhebung von Abgaben als Instrument des Vorteilsausgleichs im Generellen. Auf eine Unterscheidung zwischen Anschluss- und Erschließungsbeiträgen komme es insoweit nicht an.

Das OVG NRW ist der Auffassung, dass die Erhebung von Erschließungsbeiträgen nach Ablauf einer Frist von 30 Jahren nach der Verwirklichung der Vorteilslage durch die Fertigstellung einer Straße sich als rechtswidrig erweist. Für die Annahme einer Vorteilslage komme es auf die tatsächlichen, nicht rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der Beitragspflicht an. Dabei sei eine derartige Vorteilslage für das Erschließungsbeitragsrecht anzunehmen, wenn eine dem Grundsatz nach beitragsfähige Erschließungsanlage – für den Beitragspflichtigen erkennbar – den an sie im jeweiligen Falle zu stellenden technischen Anforderungen entspreche. Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn die nach § 132 Nr. 4 BauGB in der Erschließungsbeitragssatzung der Gemeinde zum Teil festgelegten, zum Teil durch das jeweilige Bauprogramm konkretisierten tatsächlichen Merkmale der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage erfüllt seien.

Das Oberverwaltungsgericht für das Land NRW hat damit eindeutig festgestellt, dass auch für das Erschließungsbeitragsrecht gilt, dass eine Beitragserhebung nach Verwirklichung der Vorteilslage durch die technische Fertigstellung jedenfalls nach einer Frist von 30 Jahren rechtswidrig ist. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts NRW ist in der Zwischenzeit rechtskräftig, da die beklagte Stadt gegen die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts die im Urteil zugelassene Revision nicht eingelegt hat.

Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die Zulässigkeit von Erschließungsbeitragserhebungen. Ist die Erschließungsanlage technisch fertiggestellt, d. h. sind Fahrbahn, Gehweg, Parkplätze etc. baulich fertiggestellt, so ist eine Beitragserhebung ab diesem Zeitpunkt nur noch in einer Frist von maximal 30 Jahren möglich.

Neben der ohnehin gegebenen Fehleranfälligkeit von Erschließungsbeitragsbescheiden, auf Grund derer sich häufig eine gerichtliche Überprüfung als sinnvoll darstellt, sollten Grundstückseigentümer – insbesondere in den Konstellationen, in denen für bereits lange fertiggestellte Erschließungsanlagen nunmehr noch überraschend Erschließungsbeiträge erhoben werden sollen – wachsam sein und die Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung prüfen oder prüfen lassen. Besonders interessant ist dabei für die Grundstückseigentümer, dass mit der Beachtung der Grundsätze des OVG NRW der Beitragsbescheid insgesamt steht und fällt. Dies bedeutet, dass bei einem Verstoß gegen die entsprechenden Grundsätze eine Beitragserhebung gänzlich ausgeschlossen ist und in vielen Fällen sogar auch eine Rückerstattung von bereits geleisteten Vorausleistungen in Betracht kommt.